Professor Uwe Ludewig

Aktuelle Forschung: Interview mit Prof. Uwe Ludewig

Was Margarete von Wrangells Forschung mit der Vision einer nachhaltigen Landwirtschaft zu tun hat

Wie blicken Sie auf die Forschung von Margarete von Wrangell zurück?

Margarete von Wrangell beschäftigte sich vor 100 Jahren intensiv mit dem Element Phosphor, das neben Stickstoff und Kalium eines der drei wesentlichen Elemente für Pflanzen ist. Diese drei Elemente sind in verschiedenen chemischen Formen die Nährstoffe für Pflanzen und auch Bestandteil jedes Mineraldüngers.

Das Erstaunliche ist, dass Phosphor bis heute ein aktuelles Forschungsthema ist und noch einige Fragen sind nach wie vor unbeantwortet. Bei Stickstoff und Kalium sieht es anders aus. Sie sind für die Düngung ausreichend vorhanden: Stickstoff wird seit 1908 durch das Haber-Bosch-Verfahren industriell gewonnen und Kalium aus Gesteinen extrahiert. Sie lassen sich auch relativ einfach im Boden messen und die Aufnahme durch die Pflanzen ist wissenschaftlich gut abgeklärt. Phosphor bildet da eine Ausnahme.

Schon Margarete von Wrangell erkannte, dass Phosphor im Boden oft in gebundener Form vorliegt. Es ist schwer löslich, zwar messbar, aber was nicht gut messbar bleibt ist, wieviel Phosphor pflanzenverfügbar ist. Deshalb hat sie damals einen kolorimetrischen Phosphatnachweis entwickelt, der heute noch ähnlich in modernen Analyseverfahren verwendet wird.

Allerdings gibt es in Ost- und Westdeutschland zwei verschiedene Messmethoden, einmal die Kalzium-Acetat-Methode und einmal die Doppel-Laktat-Methode.

Obwohl wir bezüglich Phosphor nur fünf verschiedene Boden-Gehaltsklassen unterscheiden, wobei A für einen geringen Phosphat-Anteil und E für einen hohen Phosphat-Anteil steht, können wir daraus nicht sicher ableiten, ob Landwirt:innen ihren Boden zusätzlich mit Phosphat düngen sollten oder nicht. Denn das Thema Phosphor ist komplex. In einigen Versuchen konnten wir Ertragszuwächse von 20 Prozent beobachten, in anderen waren die Ernteerträge sogar schlechter als vor der Düngung.

Trotz moderner Methoden wissen wir immer noch nicht genau, welchen Phosphor die Pflanzen aufnehmen können.

Damals hat Margarete von Wrangell versucht, das im Boden vorhandene Phosphor durch Hülsenfrüchte (Leguminosen) besser verfügbar zu machen. Auch heute setzen wir noch Gülle als Phosphordepot direkt unterhalb der Wurzel ein. Allerdings hat sich in den 1970er und 1980er Jahren gezeigt, welche Probleme eine Überdüngung zur Folge hat. Nämlich Algenwachstum, Sauerstoffmangel und Fischsterben in umliegenden Gewässern.

Deshalb sollten wir in den kommenden Jahren nur bedarfsgerecht düngen. Vor allem weil wir in unserer Überflussgesellschaft ohnehin viele Ressourcen überstrapaziert haben.

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„Es ist erstaunlich, dass die Forschung an Phosphor auch 100 Jahre nach Margarete von Wrangell noch aktuell ist.“

Uwe Ludewig

Hat von Wrangell einen wissenschaftlichen Meilenstein gelegt?

Margarete von Wrangell hat sicherlich ein fundamentales und bis heute relevantes Thema in der Pflanzenernährung aufgegriffen. Auch meine Doktorand:innen forschen weiter daran. Aber Margarete von Wrangells Ergebnisse für die Umsetzung in der Praxis würden heute nicht in Top-Fachzeitschriften erscheinen. Das von ihr und dem Agrarökonomen Friedrich Aereboe als revolutionär angepriesene Aereboe-Wrangell-Düngesystem brachte nicht den erhofften Erfolg.

Wie wir heute wissen, spielt Phosphor in der praktischen Landwirtschaft nicht die primäre Rolle für das Pflanzenwachstum, das ist eher Stickstoff. In der konventionellen Landwirtschaft ist Phosphat daher oft kein begrenzter Pflanzennährstoff, weil er leicht verfügbar im Dünger vorhanden ist. Anders sieht es im Bio-Anbau ohne Mineraldünger aus.

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„Die Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel ist eines der wichtigen Forschungsthemen, an denen wir arbeiten.“

Uwe Ludewig

Sind die weltweiten Phosphorvorkommen bald erschöpft?

Bis vor ein paar Jahren war unklar, wo es weltweit noch natürliche Phosphor-Vorkommen gibt. Eine Zeitlang war man der Meinung, die Vorkommen würden recht schnell versiegen.

So wurde eine Kommission eingerichtet, um nach Phosphor-Standorten zu suchen, die auch in größeren Mengen gefunden wurden, beispielsweise in Skandinavien. Allerdings wissen wir nicht, wieviel Phosphor dort unter der Erde liegt, weil wir es bisher nicht genau messen können.

Insofern ist Phosphor zwar prinzipiell eine endliche Ressource, aber im Moment gibt es für das Pflanzenwachstum keinen akuten Mangel. Problematisch ist nur, dass große Vorkommen in der politisch instabilen Region Westsahara liegen. Dieses Land wurde von Marokko annektiert, was die Weltgemeinschaft nicht anerkannt hat. Deshalb kann es schnell schwierig werden, an diesen Phosphor heranzukommen.

Inwieweit haben sich in 100 Jahren die Forschungsschwerpunkte des Instituts verändert?

Die Forschung am Institut hat sich seit Margarete von Wrangell gewandelt. Anfangs lag bei ihr der Fokus auf höheren Ernteerträgen aufgrund von Hungersnöten.

Etwa 40 Jahre später kam das Problem der Überdüngung der Gewässer und in den 90ern das Waldsterben auf, das auf zu viel Stickstoff in der Luft zurückzuführen ist. Der Wald wuchs zu stark, die anderen Nährstoffe wurden knapp und die Bäume starben ab. Dies führte dazu, dass wir nach der optimalen Düngemenge gesucht haben, um eine Überdüngung zu verhindern.

Parallel dazu haben unsere Wissenschaftler:innen am Institut neue Pflanzensorten getestet und die Qualität der Ernte rückte in den Vordergrund. Ein besonderer Fokus lag auf Mikronährstoffen in den Pflanzen: Mangelerscheinungen wie der „versteckte Hunger“ bei Menschen mit überwiegend vegetarischer Ernährung tritt in einigen Ländern verstärkt auf, die zu Wachstumsverzögerungen, Zwergwuchs oder Blindheit führen.

Ursache dafür ist ein schleichender Mangel an Vitamin A, Zink und Eisen. Professor Horst Marschner hat im Bereich der Mikronährstoffe bahnbrechende Arbeit geleistet. Sein Lehrbuch „Mineral Nutrition of Higher Plants“ ist ein Standardwerk geworden und hat Hohenheim international bekannt gemacht.

Seine Tochter wirkte nach seinem Tod im Jahr 1996 bis 2011 als Editorin für die Neuauflagen mit. Noch immer ist die Forschung zu Mikronährstoffen, ihr Transport und Verlagerung in der Pflanze ein Schwerpunkt des Instituts.

Allerdings sind wir heute viel breiter und interdisziplinärer aufgestellt und beziehen in unsere Forschung auch Bodenmikroben oder untersuchen genetische Grundlagen der Nährstoffaufnahme.

Was sind heute die wichtigsten Themen am Institut?

Der Klimawandel ist natürlich ein sehr wichtiges Thema. Wir untersuchen, wie Pflanzen sich im Zusammenspiel mit Bodenmikroben an Extremwetterereignisse anpassen, ob eine optimale Pflanzenernährung sie besser auf Trockenperioden oder neue Schaderreger vorbereitet, und inwieweit sich Pflanzen an Stress erinnern können. Langfristig wollen wir verstehen, wie Landwirt:innen trotz des Klimawandels stabile Erträge erwirtschaften.

Woran wir auch arbeiten, ist die effizientere Stickstoffaufnahme, insbesondere von Ammonium und seine Speicherung. Natürlicherweise können Knöllchen-Bakterien, die in Hülsenfrüchten vorkommen, Luftstickstoff assimilieren, so wie wir es großtechnisch im Haber-Bosch Verfahren machen. Wir versuchen diesen Prozess effizienter durchführen und mehr Stickstoff auch anderen Pflanzen verfügbar zu machen.

Andere Forscher:innen versuchen sogar die Stickstofferzeugung genetisch in transgene Kulturpflanzen zu integrieren. Prinzipiell gibt es viel Potenzial, Stickstoff energieärmer für Pflanzen verfügbar zu machen, aber auch die Phosphor-Forschung bleibt ein Thema.

Ähnlich zum Ökolandbau entwickeln wir gerade ein Düngesystem ohne synthetische Pflanzenschutzmittel, aber mit Mineraldünger. In diesem Dünger können wir sehr gezielt einzelne Elemente dosieren, so dass es eben auch keine Überdüngung bestimmter Nährstoffe gibt, die dann durch Auswaschung andere Ökosysteme gefährden. An dieser Forschung ist die halbe Agrarfakultät beteiligt.

Auch die Epigenetik ist ein Thema, bei dem wir untersuchen, wie Pflanzen gelernte Informationen an eigene Zellen im Organismus oder die Nachkommen weitergeben.

Insgesamt wird unsere Forschung immer interdisziplinärer und detaillierter. Wir untersuchen, welche Kombinationen von Substanzen, welche Mikroorganismen, Pilze und Algen die Kulturpflanzen stressresistenter machen. Bislang sehen wir eine hohe Variabilität bei den Ergebnissen, insbesondere auf dem Feld, und wissen noch nicht, warum das so ist.

Insgesamt ist es eine immer größere Herausforderung, komplexe Themen in unserer schnelllebigen Gesellschaft verständlich zu vermitteln. Viele Verbesserungen, an denen wir arbeiten, gehen sehr ins Detail und manche Studierende würden lieber gerne mit einem großen Wurf die Welt verbessern, statt an Details zu feilen. Manchmal ist es schwierig zu entscheiden, wo wir die Prioritäten setzen.

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„Wenn wir nachhaltige und regionale Lebensmittel wollen, müssen wir auch bereit sein, entsprechende Preise zu bezahlen.“

Uwe Ludewig

Welche Rolle spielt die Molekularbiologie?

Die Molekularbiologie ermöglicht es uns, die genetischen Grundlagen der Pflanzenernährung zu verstehen, indem sie aufdeckt, welche Gene und Proteine für die Aufnahme und Verteilung von Nährstoffen entscheidend sind. Auch wenn Hohenheim dieses Thema etwas „verschlafen“ hatte, ist es seit Institutsleiter Professor Nicolas von Wirén, einem ehemaligen Schüler von Horst Marschner, etabliert.

Ich selbst habe in Tübingen viel mit Nicolas von Wirén zusammengearbeitet und setze diese Forschung bis heute fort. In Hohenheim kombinieren wir molekularbiologische und genetische Untersuchungen mit praxisorientierten Ansätzen. Dabei arbeiten wir mit Professor Torsten Müller zusammen, der sich vor allem mit der Bodenbeschaffenheit, Bodenorganismen und der tatsächlichen Düngung beschäftigt.

Diese Kombination von theoretischer und praktischer Perspektive an einem Universitätsstandort ist selten und wertvoll, da sie ein umfassendes Verständnis der Pflanzenernährung ermöglicht – sozusagen von der Genetik bis hin zu praktischen Düngungsmethoden und deren Umweltauswirkungen.

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„In unserer schnelllebigen Gesellschaft wird es immer schwieriger, komplexe Themen verständlich zu vermitteln.“

Uwe Ludewig

Welche Herausforderungen gibt es heute für die Landwirtschaft in Deutschland?

Die Frage ist, wie wir in Zukunft unsere Lebensmittel produzieren möchten – möglichst regional und nachhaltig. Der Einsatz von Mineraldünger ist im ökologischen Landbau durch Verordnungen untersagt. Obwohl chemische Prozesse auch in der Natur ablaufen, lehnen viele Biolandwirt:innen denselben Prozess bei der Herstellung von Düngemitteln ab.

Auf der anderen Seite können Gülle und andere organische Dünger, die immer Kombinationsdünger mit mehreren Elementen sind, schnell zu einer Überdüngung von bestimmten Mineralien führen, was wiederum Algenwachstum und Fischsterben verursachen kann.

Deshalb haben wir in Hohenheim das Projekt „La𝗡dwirtschaft 4.0 𝗼hne 𝗰hemisch-𝘀ynthetischen 𝗣flanzen𝗦chutz“ (NOcsPS) etabliert.

Dabei verwenden wir keinerlei Pflanzenschutzmittel, aber Mineraldünger, um höhere Erträge zu erzielen. Diese Herangehensweise führt zu etwa 50% mehr Ertrag bei Getreiden im Vergleich zum Ökolandbau.

Letztlich können wir als Wissenschaftler:innen zwar gesunde Pflanzenanbausysteme entwickeln, aber es liegt an der Gesellschaft, die relevanten Fragen zu stellen und zu beantworten. Ich persönlich bin seit einigen Jahren Vegetarier (mache aber durchaus einmal im Jahr eine Ausnahme) und weiß genau, wie schwierig es am Anfang ist, die eigenen Ernährungsgewohnheiten umzustellen.

Ein zu dogmatischer Umgang damit ist auch nicht gut, weil viele Menschen dann Widerstände entwickeln. Wir können als Forschende nur dazu beitragen, dass wir ein verantwortungsvolles Bewusstsein für den Umgang mit Lebensmitteln entwickeln, aber die Politik und die Gesellschaft müssen ihre eigenen Antworten finden.

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„Die größte Herausforderung in der Landwirtschaft ist der Verlust der Artenvielfalt.“

Uwe Ludewig

Wie sehen unsere Agrarsysteme der Zukunft aus?

Wahrscheinlich werden wir viel weniger kleine Höfe in Baden-Württemberg haben, weil sie sich wirtschaftlich nicht mehr rentieren. Die Tendenz geht immer noch zu großen Höfen.

Wir haben es in den letzten 100 Jahren geschafft, durch technologischen Fortschritt die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft zu verbessern und vieles effizienter zu machen. Es ist nicht mehr nötig, unter den härtesten Bedingungen aufs Feld zu gehen.

Allerdings haben wir das Problem der sehr reduzierten Fruchtfolgen und schwindenden Artenvielfalt. Das kann nicht ewig so weitergehen.

Während sich eine Überdüngung nach einigen Jahren wieder einpendelt, ist das mit der Diversität nicht so.

Wenn wir einmal bestimmte Spezies verloren haben, können wir sie nicht zurückholen. Deshalb ist der Artenschwund eine der größten Bedrohungen für unsere Zukunft.

Ich denke, dass wir einen gesellschaftlichen Wandel in der Wertschätzung von Landwirtschaft brauchen. Wenn Landwirt:innen Diversität erhalten und nachhaltig arbeiten sollen, muss der Preis für Lebensmittel steigen. Der Erhalt von Biodiversität muss sich lohnen.

Wir lesen zwar gerne mit unseren Kindern Geschichten über Bullerbü-Bauernhöfe, aber die Realität sieht ganz anders aus. Wenn wir eine nachhaltige und verantwortungsbewusste Landwirtschaft wollen, müssen wir uns von idealistischen Vorstellungen lösen und auch andere Preise akzeptieren.

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„Bei uns am Institut ist es uns wichtig, dass jemand von der Persönlichkeit her ins Team passt – nicht ob es ein Mann oder eine Frau ist.“

Uwe Ludewig

Nach Margarete von Wrangell gab es an der Agrar-Fakultät 75 Jahre lang keine Professorin. Welche Chancen haben Forscherinnen 2023 auf eine Professur?

Nach wie vor gibt es in der Agrarwissenschaft eine Männerdominanz. Ich sehe aber, dass sich die Denkweise verändert hat. Im Jahr 1998 war Ellen Kandeler die einzige Professorin in der Agrarwissenschaft in Hohenheim. Mittlerweile haben wir aber Juniorprofessorinnen am Institut, zum Beispiel Sandra Schmöckel.

Die Zahlen von Frauen in Studien- und Doktorandenprogrammen sind seit langem auf Niveau der Männer, und ich erwarte, dass wir in den kommenden Jahren ein ausgeglicheneres Verhältnis der Geschlechter auch in Leitungsfunktionen haben.

Noch bewerben sich deutlich weniger Frauen auf Professuren. Aber natürlich haben sie ganz andere Chancen als zu Zeiten von Margarete von Wrangell. Das haben wir auch am Beispiel von Marie Curie gesehen, eine der ersten Professorinnen Frankreichs, bei der Margarete von Wrangell forschte. Sie konnte nur Professorin werden, weil sie mit Pierre Curie verheiratet war und sie gemeinsam das Institut leiteten. Es war ein Sonderweg.

Wir müssen uns immer vor Augen führen, dass Frauen in West-Deutschland bis 1977 die Zustimmung ihres Gatten brauchten, um arbeiten zu dürfen und das erwirtschaftete Geld stand ihm zu. Seitdem ist es erst die zweite Generation, die ein anderes Rollenbild lebt.

Allerdings gibt es immer noch unterschiedliche Lebensmodelle und gewisse Familienbilder. Unter meinen Doktorandinnen gab es einige, die ich gerne gefördert hätte, die aber nicht in der Wissenschaft bleiben wollten.

Viele wandern ab oder verändern ihre Karriereziele, weil ihnen in einer prekären Phase eine Familie wichtiger ist. Gleichzeitig wollen Wissenschaftlerinnen in keinem Fall das Gefühl haben, nur wegen ihres Geschlechts gefördert worden zu sein. In unserer modernen Gesellschaft sollten wir generell über Modelle der Familienförderung nachdenken.

Insgesamt denke ich, dass eine ausgewogene Geschlechterverteilung in den Arbeitsgruppen und auf Leitungsebene das Beste ist. Das sehen auch meine Kollegen so. Deshalb sollten wir sowohl exzellente Wissenschaftlerinnen als auch Wissenschaftler fördern.

Meiner Meinung nach müssen wir auch nicht zwangsläufig eine Parität erreichen. Viel wichtiger ist, ob eine Person von der Persönlichkeit her ans Institut passt und mit anderen gut zusammenarbeiten kann.

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